Wehrt euch gegen den Regenbogen-Kapitalismus

Liebe queere Community, liebe Freundinnen, Genossinnen, Kämpfer*innen,

wir stehen heute hier beim Christopher Street Day – ein Tag, der für viele feiern, Selbstinszenierung und eine große Show bedeutet. Doch wir dürfen nicht vergessen, warum wir heute hier stehen können. Denn der Ursprung des CSD war kein Straßenfest. Er war ein Aufstand.

In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 in der Christopher Street in New York haben sich queere Menschen – vor allem Schwarze Transfrauen, Drag Queens, Lesben, Schwule, Obdachlose und sexuell nicht-konforme Menschen – gegen brutale Polizeigewalt gewehrt. Es war der Aufschrei gegen das System, das sie entrechtet, kriminalisiert, pathologisiert und unterdrückt hat. Stonewall war nicht liberal und nicht gesetzeskonform. Es war ein radikaler Akt der Selbstermächtigung. Es war Widerstand von unten, von den Ausgestoßenen und Unsichtbaren. Es ging nicht darum, in diese kaputte Gesellschaft aufgenommen zu werden – sondern diese Gesellschaft grundlegend zu verändern.

Was ist aus diesem Widerstand geworden?
Heute, über 50 Jahre später, ist der CSD zu einem Spielfeld des Kapitalismus geworden. Gesponsert von Banken, Versicherungen, Waffenherstellern, Tech-Konzernen und Fast-Fashion-Ketten, tarnt er sich als diverse Demonstration für queere Rechte. Dabei werden diese Rechte bloß vermarktet, Diversität wird zum Verkaufsargument. Der radikale Ursprung des CSDs ist oft vergessen oder wird bewusst ignoriert.
Wir nennen das: Regenbogen-Kapitalismus.

Regenbogen-Kapitalismus bedeutet, dass Konzerne mit unserer Sexualität und unserer Identität werben, während sie gleichzeitig in anderen Ländern LGBTQIA+ feindliche Regime unterstützen. Dass sie queere Mitarbeitende mit einem Diversity-Workshop beruhigen, während sie prekäre Arbeitsverhältnisse schaffen. Dass Polizeibehörden auf CSDs mitlaufen, obwohl sie nach wie vor rassistisch und queerfeindlich agieren. Dass Parteien sich auf der Parade präsentieren, die Abschiebungen befürworten oder queere Rechte relativieren, sobald es unbequem wird.

So wird der CSD seiner politischen Relevanz beraubt. Er wird zur Leistungsschau des Kapitalismus. Dabei brennt unsere Welt.

Und gerade deshalb brauchen wir eine erneute Radikalisierung des CSDs.
In Zeiten, in denen faschistische Parteien in Europa wieder in Parlamente einziehen. In Zeiten, in denen trans Menschen systematisch angegriffen und ihre Existenzen in Frage gestellt werden – in Medien, in Gesetzen, in öffentlichen Debatten. In Zeiten, in denen queere Veranstaltungen gezielt von Nazis attackiert werden, ohne dass diese ernsthafte Konsequenzen fürchten müssen. In Zeiten, in denen Konzerne die Umwelt zerstören, Lebensgrundlagen vernichten und Menschen ausbeuten – und sich dann mit Regenbogenflaggen moralisch reinwaschen wollen.

In solchen Zeiten geht es nicht mehr darum, zu feiern, sondern unsere Wut vereint auf die Straße zu tragen.

Wir brauchen einen CSD, der unbequem ist.
Einen CSD, der auf der Straße kämpft – nicht auf der Werbefläche. Einen CSD, der marginalisierte Stimmen in den Mittelpunkt stellt: Schwarze queere Menschen, trans und nicht-binäre Personen, Sexarbeiterinnen, Migrantinnen, Geflüchtete, Menschen mit Behinderung. Einen CSD, der nicht nach Anerkennung bettelt, sondern Machtverhältnisse angreift. Einen CSD, der nicht nur bunte Vielfalt feiert, sondern Klassenkampf, Antifaschismus, Internationalismus und radikale Solidarität lebt.

Denn queere Befreiung ist kein Produkt. Sie ist ein Kampf.

Also lasst uns laut sein, unbequem, militant in unserer Liebe, in unserem Zorn, in unserer Hoffnung. Lasst uns Netzwerke schaffen, die jenseits des Staates und des Marktes funktionieren. Lasst uns träumen – und kämpfen – für eine Welt, in der niemand unterdrückt wird wegen Geschlecht, Sexualität, Herkunft oder Klasse.

Stonewall war ein Aufstand.
Machen wir den CSD wieder zu dem, was er sein sollte: ein Akt der Rebellion.

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