„Terroristen“ im Sinne der Staatsräson

Am Sonntagabend hat die israelische Armee den palästinensischen Reporter Al-Sharif gezielt getötet. Insgesamt kamen bei den israelischen Luftangriffen sieben Journalisten und Kameramänner ums Leben. Sie befanden sich in einem Zelt für Medienschaffende vor dem Al-Shifa-Krankenhaus. Die israelische Armee bestätigte den Angriff und erklärte, Al-Sharif habe „als Anführer einer Terrorzelle der Hamas gedient und sei für Raketenangriffe auf israelische Zivilisten und IDF-Truppen verantwortlich gewesen“. Dieses Narrativ wird von der deutschen Presse weitgehend übernommen. Die taz schreibt: „Ziel des Angriffs sei ein Anführer der radikal-islamistischen Hamas gewesen, der sich als Journalist des Senders Al-Jazeera ausgegeben habe.“1 In der Tagesschau ist sogar von „Schützenhilfe für die Hamas2“ die Rede.

Damit stellt sich in den deutschen Medien einmal mehr die Frage: Können Journalisten Terroristen sein?

Seit dem 7. Oktober erfüllen die Medien genau die ihnen zugedachte Rolle: Sie stellen das Handeln ihres Staates als notwendig dar und tragen die Staatsräson in die Bevölkerung. In Deutschland gilt das militärische Vorgehen Israels in den großen Medien überwiegend als gerechtfertigter Kampf gegen Terroristen – keine Überraschung. Denn die Leitlinie ist seit der Merkel-Regierung klar vorgegeben: „Die Unterstützung Israels ist und bleibt deutsche Staatsräson.“ Sowohl der damalige Kanzler Olaf Scholz und seine Außenministerin als auch der heutige Kanzler Friedrich Merz und sein Außenminister haben dies immer wieder bekräftigt.

Für die Medien stand von Anfang an fest, wer „gut“ und wer „böse“ ist. Am 7. Oktober 2023 sprach die ARD in ihren Berichten über die Hamas noch von „Kämpfern“. Schon einen Tag später wurden sie konsequent als „Terroristen“ bezeichnet. Man könnte annehmen, dass diese Wortwahl durch die Gräueltaten und die Gewalt der Hamas motiviert war. Doch nach nur einem Tag war es unmöglich, das gesamte Ausmaß der Ereignisse zu kennen – und dennoch wurde bereits das eindeutige Urteil gefällt.

Ganz objektiv betrachtet, erfüllen sowohl die Angriffe der Hamas als auch die Israels zentrale Merkmale dessen, was allgemein als terroristisch bezeichnet wird. Warum also ausschließlich bei der Hamas von „Terroristen“ gesprochen und nicht bei Israel? Liegt es an der Zahl ziviler Opfer, an der Brutalität der Angriffe oder an Menschenrechtsverletzungen? Würde man diese Kriterien konsequent anwenden, wird deutlich, dass Israel die Hamas in allem massiv übertrifft – und damit ebenso den Titel „Terrorist“ verdient.

Der Begriff „Terrorist“ erfüllt jedoch eine ganz andere Funktion: Er dient der vorweggenommenen Delegitimierung von Gewalt durch unerwünschte Gruppen oder Organisationen – in diesem Fall der Hamas. Diese Delegitimierung erfolgt aus der Perspektive staatlicher Gewalt. Der Staat als Inhaber des Gewaltmonopols spricht sich selbst und seinen Verbündeten das alleinige Recht auf Gewalt zu. Nichtstaatliche Gewalt hingegen wird – sofern gewünscht – durch Bezeichnungen wie „Terroristen“ delegitimiert.

Die Verwendung des Begriffs „Terrorist“ stiftet zwangsläufig moralische Parteilichkeit – genau das ist sein Zweck. Er ist keine neutrale Beschreibung bestimmter Handlungen, sondern ein stark wertender Kampfbegriff, der den so Bezeichneten jede politische Legitimität abspricht. Das Urteil über Gut und Böse wird damit sprachlich vorweggenommen, noch bevor eine differenzierte Betrachtung überhaupt stattfinden kann – und genau darauf zielt es ab. Das moralische Urteil gilt als abgeschlossen; jede Hinterfragung des Begriffs wird automatisch als Rechtfertigung oder Verbindung zu den sogenannten „Terroristen“ interpretiert. Auf diese Weise wird Kritik an staatlichen Positionen unter dem Damoklesschwert moralischer Parteilichkeit effektiv unterdrückt.

Und genau das war der ARD und der Tagesschau bewusst. Innerhalb der ARD gab es Hinweise, welche Begriffe Redakteure und Sprecher nutzen sollten. Dem Onlineportal NachDenkSeiten wurde ein internes Schreiben zugespielt, in dem es heißt:

„Hamas-Kämpfer bitte vermeiden! Wie bereits von der Chefredaktion festgelegt, sollten wir nicht euphemistisch von Hamas-Kämpfern, sondern von Terroristen schreiben oder sprechen. Als Synonyme bieten sich ‚militante Islamisten‘, ‚militante Palästinenser‘, ‚Terrormiliz‘ oder Ähnliches an.“3

So kommt die Berichterstattung über die Hamas in etablierten Medien kaum ohne den Zusatz „radikal-islamistisch“ aus – und in Boulevardmedien wie der Bild wird gleich von „Bestien“ oder „Barbaren“ gesprochen.

Diese Form der Delegitimierung erfolgt allerdings nicht automatisch. Immer wieder gibt es nichtstaatliche Gruppierungen, die ebenfalls terroristisch agieren, aber als „Freiheitskämpfer“ oder Ähnliches bezeichnet werden. So wurde etwa die HTS (Hay’at Tahrir al-Sham), welche Ende letzten Jahres von deutschen Medien zunächst als „Rebellen“ und „Freiheitskämpfer“ bezeichnet wurde, nachdem sie Teile der Assad-Herrschaft gestürzt hatte. Dass die HTS eine Nachfolgeorganisation von Al-Qaida ist, war für westliche Staaten zweitrangig – sie wurde sogar von der britischen Terrorliste gestrichen, um bessere Beziehungen zu Syrien aufbauen zu können.

Das israelische Militär hingegen wird stets neutral als „Armee“ oder „IDF“ benannt – Begriffe, die im Vergleich zu „Terroristen“ weit weniger abschreckend klingen. Dabei verfügt die israelische Armee über ein ungleich größeres Zerstörungspotenzial – was in den vergangenen 18 Monaten deutlich sichtbar wurde – als die Kämpfer der Hamas, die nicht annähernd dieselbe Durchschlagskraft besitzen.

All dies trägt dazu bei, das Handeln Israels als legitimen Kampf der „moralischsten Armee der Welt“ gegen Terroristen darzustellen – ganz im Sinne der deutschen Staatsräson.

Ein aktuelles extremes Beispiel dafür, wie politische Gegner als „Terroristen“ etikettiert werden, um moralische Parteilichkeit zu erzeugen und Repression zu legitimieren, ist die britische Organisation Palestine Action. Zu ihren bekanntesten Aktionen gehört das Besprühen von Flugzeugturbinen mit roter Farbe, die von der Royal Air Force zur Luftbetankung israelischer Kampfflugzeuge genutzt werden, sowie die Besetzung und Sabotage von Rüstungskonzernen, die Waffen an Israel liefern, wie Elbit Systems. Obwohl von der Gruppe keinerlei terroristische Gewalt ausging, wurde sie als terroris­ tische Organisation eingestuft, und die Unterstützung ihrer Aktionen kann mit bis zu 14 Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Dieses Beispiel zeigt deutlich: Nicht einmal klassische terroristische Gewalt ist nötig, um politische Gegner als „Terroristen“ zu deklarieren.

Die Frage, wer als „Terrorist“ gilt, ist daher weniger eine objektive Feststellung als vielmehr ein politisches Urteil. Begriffe werden gezielt eingesetzt, um Sympathien oder Abneigungen zu steuern, Handlungen zu legitimieren oder zu verurteilen. Solange Medien diese Sprachmuster unkritisch übernehmen, tragen sie dazu bei, Konflikte in Schwarz-Weiß-Muster zu pressen – und erschweren eine differenzierte Betrachtung der Realität.

Die verbreitete Vorstellung, die Aufgabe der Presse bestehe darin, eine objektive Wahrheit abzubilden, ist letztlich eine idealistische Illusion. Begriffe, die eindeutig die vom Staat gewünschte Parteilichkeit stiften – wie „Terroristen“ – machen ihren eigentlichen Zweck sichtbar. In der Praxis wählt die Presse mit professionellem Blick die Ereignisse aus, die aus nationaler Perspektive am bedeutsamsten erscheinen. Diese Fakten werden anschließend durch gezieltes Wording, Framing, Personalisierung, Emotionalisierung und die Einbindung ausgewählter Experten so aufbereitet, dass daraus Narrative entstehen, die den staatlichen Interessen dienlich sind.

Solange Medien sich diesem Mechanismus verschreiben und ihre Rolle darin sehen, den offiziellen Deutungsrahmen zu stützen, bleibt der Anspruch auf unabhängige Aufklärung eine wohlklingende Fassade. Wer verstehen will, muss sich daher nicht nur mit den Ereignissen selbst befassen, sondern auch mit der Art und Weise, wie sie erzählt – und von wem sie erzählt – werden.

  1. https://taz.de/-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!6105940/ ↩︎
  2. https://www.tagesschau.de/faktenfinder/kontext/al-jazeera-nahost-100.html ↩︎
  3. https://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/231027-Glossar_Berichterstattun-gNahostkonflikt.pdf ↩︎

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