Redebeitrag zum Schulstreik 05.12.

Liebe Schülerinnen, liebe Lehrerinnen und liebe Eltern,

während die Regierung gerade darüber diskutiert, wie sie die Wehrpflicht wieder einführen kann, stehen wir heute gemeinsam mit über zehn Schulen aus Göttingen nicht im Unterricht, sondern auf der Straße.

Und das aus gutem Grund.

Es geht um unsere Zukunft. Denn auch wenn die Regierung es nicht laut ausspricht: Die Vorbereitung auf eine neue Form der Wehrpflicht läuft längst. Seit der von Olaf Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ soll Deutschland „kriegstüchtig“ werden. Das bedeutet: mehr Soldaten, mehr Waffen, mehr Milliarden fürs Militär und das alles auf unsere Kosten. Deutschland soll wieder militärische Führungsmacht in Europa werden. Das heißt : Der Staat rüstet sich für Konflikte, in denen wir – die Jugend – als Reserve eingeplant sind.

Währenddessen kämpfen in Göttingen Jugendzentren ums Überleben, Sozialausgaben sinken, das Rentenalter soll weiter steigen – aber Milliarden für die Bundeswehr sind plötzlich jederzeit verfügbar. Das ist kein Zufall, das ist eine politische Entscheidung darüber, was diesem Staat wichtig ist.

Dabei erzählt man uns eine einfache Geschichte:
Wenn ein anderer Staat uns angreift, dann schützt uns die Bundeswehr. Und dafür müssen wir bereitstehen.

Und dieser Staat sagt sehr deutlich, was das für ihn bedeutet. Der Präsident des Reservistenverbands erklärt offen: „Ohne Wiedereinsetzung der Wehrpflicht wird es auf Dauer nicht gehen.“ Und noch deutlicher: „Im Kriegsfall werden pro Tag 1.000 Soldaten sterben oder so schwer verwundet sein, dass sie nicht mehr kämpfen können.“ Das ist die nüchterne Planung eines Staates, der uns als „Personalreserve“ betrachtet – als Material in einem industrialisierten Krieg. Und er sagt auch ganz offen, worum es jetzt geht: Man müsse „das Narrativ schaffen“, damit die Bevölkerung versteht, warum man in Zukunft hunderttausende Reservist*innen braucht. Die ideologische Vorbereitung läuft schon. Wir sollen früh daran gewöhnt werden, dass Krieg wieder normal wird und dass wir dafür die Verantwortung tragen sollen.

Denn die Bundeswehr ist kein Schutz für uns – ganz im Gegenteil.

Wenn es zum Krieg kommt, auf den sich Deutschland und Europa bis 2029 vorbereiten, sind wir für den gegnerischen Staat ohnehin automatisch Zielscheibe, ganz egal, ob man sich am Krieg beteiligt oder nicht. Wer sich dem Krieg des eigenen Staates anschließt, wird dadurch nicht sicherer, sondern wird erst recht zum legitimen Ziel. Der Schluss „Ich schütze mich, indem ich mitmache“ ist daher nicht nur falsch, sondern eine gezielt erzeugte Illusion. Staaten wissen genau, dass Kriege nicht dem Schutz ihrer Bürger dienen – sie führen sie trotzdem, weil sie deren Leben, möglichst freiwillig, für ihre Feindschaften brauchen.

Denn Kriege schützen nicht die Bevölkerung.
Sie lösen keinen einzigen Konflikt, der unser Leben betrifft – nicht Wohnen, nicht Bildung, nicht soziale Sicherheit. Staaten führen keine Kriege, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Sie führen Kriege, weil sie ihre Macht, ihren Einfluss und ihre Interessen gegenüber anderen Staaten durchsetzen wollen.

Kriege sind hoch perfektionierte Massenmorde der eigenen Bevölkerung, um die gegnerische Staatsgewalt durch den Mord an ihrer Bevölkerung zu schwächen – einer Bevölkerung, die aus denselben Gründen in die Uniform gezwungen wurde.

Nicht mehr und nicht weniger.

Und die Rechtfertigung dafür klingt immer gleich: militärische „Abschreckung“ gegen das aggressive Russland.
Uns wird erzählt, man müsse nur stark genug aufrüsten, dann wolle niemand angreifen.
Aber das Gegenteil stimmt: Jede Aufrüstung zwingt den Gegner zur Gegenaufrüstung. Jede neue Drohne hier führt zu einer neuen Drohne dort. So entsteht kein Frieden, sondern ein Wettrüsten, das Konflikte verschärft und Kriege wahrscheinlicher macht.

Und Abschreckung funktioniert nur, wenn ein Staat glaubhaft macht, dass er bereit ist, diese Waffen auch einzusetzen – sonst schreckt er niemanden ab. Dabei besteht natürlich auch immer die Gefahr, dass der eigene Staat angreift. Es gibt keine Absicherung, dass die „Kriegstüchtigkeit“ nicht schneller vom eigenen Staat ausgenutzt wird als vom Gegner. Das heißt: Staaten rüsten nicht auf, um Kriege zu verhindern, sondern um sie auf unseren Kosten gewinnen zu können.

Nichts davon hat mit unseren Interessen zu tun.
Wir verlieren – egal welche Flagge gerade oben hängt.

Wir verlieren im Frieden, wenn Milliarden für Aufrüstung statt für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit ausgegeben werden.
Und wir verlieren erst recht im Krieg, wenn wir zur Ressource eines Konflikts werden, den wir nicht gewählt haben.

Deshalb stehen wir heute hier.

Wir lassen uns nicht erzählen, es sei „unverantwortlich“, sich gegen die Wehrpflicht zu wehren.
Unverantwortlich ist es, eine ganze Generation darauf vorzubereiten, für Interessen zu sterben, die nicht unsere sind.
Unverantwortlich ist es, Sozialkürzungen zu beschließen und gleichzeitig das größte Aufrüstungsprogramm seit 80 Jahren durchzuziehen.
Unverantwortlich ist es, Jugendzentren, Schulen und Krankenhäuser kaputtzusparen und dann von uns zu verlangen, wir sollten bereitstehen, wenn der Staat seinen Imperialismus nicht anders durchsetzen kann.

Wir sagen Nein zu einer Politik, die uns zu Soldaten machen will.
Nein zu einem Staat, der uns erzählt, wir müssten für unsere eigene Sicherheit kämpfen, während er selbst die Bedingungen schafft, die Konflikte verschärfen.
Nein zu einer Zukunft, in der wir zwischen Schule und Kasernenhof wählen sollen.

Wir stehen hier, weil wir wissen:
Kriege finden kein Ende, wenn wir uns daran beteiligen.

Wir wollen eine Zukunft, die wir selbst gestalten.
Eine Zukunft, in der wir nicht Material sind – weder für Kriege noch für ihre Vorbereitung.

Darum streiken wir heute.
Darum gehen wir auf die Straße.
Und darum machen wir weiter – bis klar ist, dass unsere Leben mehr wert sind als die Interessen irgendeines Staates.

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