Kommentar zum neuen Gesetz der Bundesregierung und zum Staat im Kriegsfall
Heute hat die Bundesregierung das neue Wehrdienstgesetz beschlossen. Am Montag stand der Gesetzesentwurf von Verteidigungsminister Pistorius noch unter Kritik, doch jetzt, nach langen Diskussionen, einigten sich die Regierungsparteien. Es gebe „keinen grundsätzlichen Dissens“, sagte Kanzler Merz.
Kurzzeitig hatte die CDU den Entwurf blockiert, da er nicht für den „geplanten schnellen Aufbau der Bundeswehr“ ausreichend sei. Es bräuchte „schon jetzt einen Automatismus hin zu einer verpflichtenden Heranziehung“.
Beginnend mit dem Jahrgang 2008 werden alle 18-Jährigen von der Bundeswehr einen Fragebogen erhalten, in dem nach Angaben zu Gesundheitszustand, Bildungsabschlüssen und Interesse an der Bundeswehr gefragt wird. Für Männer wird dies verpflichtend sein, für Frauen freiwillig. Künftig wird die Bundeswehr also eine Datenbank mit allen Männern und Freiwilligen Frauen ab Jahrgang 2008 führen. So können sie im Ernstfall zu Wehr- oder Zivildienst einberufen werden.
Ziel ist es, bis 2030 über 100.000 freiwillige Wehrdienstleistende in Reserve zu haben. Offiziell wird dies mit der Bedrohung durch Russland und der Notwendigkeit erklärt, die Einsatzfähigkeit Deutschlands in der NATO zu sichern. Doch damit steht auch fest: Die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht kehrt in neuer Form zurück – und für eine ganze Generation junger Menschen wird der Dienst an der Waffe oder im Zivildienst wieder zu einer staatlichen Pflicht. Bis jetzt setzt die Regierung noch auf Freiwilligkeit – wie lange das so bleibt, ist nur noch eine Frage der Zeit.
Auf was wird sich da bis 2030 vorbereitet?
Laut unseren Politikern soll Russland bis 2030 Deutschland oder ein Nachbarland mit einem brutalen Angriffskrieg überfallen. Doch dass Russland tatsächlich in den nächsten Jahren Deutschland oder gar die NATO angreift, ist äußerst fraglich. Russland ist bereits tief im Krieg in der Ukraine gebunden, wirtschaftlich geschwächt und hätte im Falle eines Angriffs auf ein NATO-Land sofort die gesamte Allianz gegen sich – ein Unterfangen, das militärisch wie politisch kaum durchzuhalten wäre. Viel eher zeigt sich hier ein bekanntes Muster: Bedrohungsszenarien werden aufgebaut, um heute schon Aufrüstung, höhere Militärausgaben und die ideologische Vorbereitung auf künftige Kriege zu rechtfertigen. Nicht die realistische Einschätzung einer Gefahr steht im Vordergrund, sondern die politische Nutzung dieser Drohkulisse.
Hinter diesen Szenarien steckt zudem ein machtpolitisches Kalkül: Europa und insbesondere Deutschland wollen sich in sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen unabhängiger von den USA machen. Zwar gilt die USA formal als stärkster Garant der NATO, doch ihre Rolle wird zunehmend unsicher. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, wie stark viele europäische Staaten noch von äußeren Faktoren abhängig waren – sei es durch Energieimporte aus Russland oder durch militärische Rückendeckung aus Washington. Nach 2022 mussten kurzfristig russische Öl- und Gaslieferungen durch Importe aus den USA ersetzt werden, während parallel der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben wurde, um langfristig eine gewisse energiepolitische Autonomie zu erreichen.
Ähnlich verhält es sich nun mit der Militärpolitik. Spätestens seit Donald Trump offen erklärt hat, dass er US-Interessen auch gegen oder ohne europäische Partner durchsetzen will, ist für viele Regierungen in der EU klar geworden: Sie können nicht mehr selbstverständlich auf den Schutz der USA bauen. Europa soll deshalb nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch unabhängiger werden – und genau dafür braucht es mehr eigene militärische Kapazitäten. Das betrifft nicht nur Waffen und Rüstung, sondern auch „menschliche Ressourcen“. Mit anderen Worten: Soldaten, die im Ernstfall nicht nur als Drohkulisse dienen, sondern tatsächlich für Deutschland und Europa in den Krieg ziehen.
Was würde es bedeuten, für Deutschland in den Krieg zu ziehen?
Immer wieder heißt es: „Zum Schutz von dir selbst und deiner Familie musst DU in Zukunft die deutschen Grenzen verteidigen.“ Ziemlich schnell wird man auf einen gravierenden Widerspruch aufmerksam: Um das Leben von mir und meiner Familie zu sichern, muss ICH selbst mein Leben an den deutschen Fronten riskieren.
An diesem Beispiel kann man viel über den Staat lernen. In der Schule lernen wir, dass der Staat doch unsere Freiheit einrichtet, es heißt doch auch Freie Demokratische Grundordnung. Doch bei einer genaueren Betrachtung wird klar, dass die herrschende bürgerliche Ordnung nun mal eine der Gewalt und Herrschaft ist – und das nicht in unserem Interesse.
Dem bürgerlichen Staat im Allgemeinen geht es nicht um das Wohl und die Verteidigung der eigenen Bevölkerung. Denn der Staat ist es, der seine Bürger rekrutiert, für den Krieg trainiert und bewaffnet und sie dann gegen den vom Staat ausgemachten Feind an die Front abkommandiert. Was für eine staatliche Gewalt da herrscht, kann man immer dort sehen, wo ein Staat gerade seine Bevölkerung im Kriegsfall als Munition benutzen will und diese es nicht freiwillig macht. In der Ukraine, Russland oder Israel werden Menschen, die ihr Leben retten wollen und nicht nach Befehl an die Front ziehen, dazu gezwungen oder ins Gefängnis gesteckt. Die Frage nach Krieg ist halt keine Frage der Freiwilligkeit. Der Staat macht sich nicht von der Freiwilligkeit seiner Bürger abhängig, die er zum Töten und Sterben braucht.
Schnell wird klar: Im Kriegsfall verteidigt der Staat nicht dich, sondern benutzt seine eigene Bevölkerung, um sich zu verteidigen. Doch was genau wird da verteidigt? Nicht dein Leben, nicht deine Familie, sondern die staatliche Souveränität – also das Bestehen und die Unabhängigkeit des Staates selbst. Damit ist gemeint: der Erhalt des Territoriums, der politischen Herrschaftsordnung und der ökonomischen Grundlage, auf der diese Ordnung ruht. Im Ernstfall gilt nicht das Leben des Einzelnen als schützenswert, sondern die Fähigkeit des Staates, weiterhin als souveräne Macht zu bestehen. Genau deshalb macht er seine Bürger zur Ressource – im Frieden als Arbeitskräfte, im Krieg als Soldaten.
Wir sollen nun also zur Verteidigung der Souveränität Deutschlands unser eigenes Leben riskieren? Dass das nicht in unserem Interesse liegt, ist schnell erkannt. Denn dieser ganze Laden existiert nicht, um unsere Interessen durchzusetzen. Dass unser Wohlergehen hier keine Rolle spielt, ist kein Zufall – genau so funktioniert jeder bürgerliche Staat.