Redebeitrag Palästina Demo:

Wir blicken zurück auf über anderthalb Jahre systematischer Vernichtung im Gazastreifen – mit der vollen politischen, ökonomischen und militärischen Unterstützung durch die Bundesrepublik Deutschland.

Von Beginn an stand die BRD fest an der Seite Israels. Für die vermeintlich progressive Ampelregierung unter Olaf Scholz war sofort klar, wer „gut“ und wer „böse“ ist. Bereits am 12. Oktober 2023 erklärte Bundeskanzler Scholz: „Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich und seine Bürgerinnen und Bürger gegen den barbarischen Angriff zu verteidigen.“

Wie brutal und völkerrechtswidrig Israel seither im Gazastreifen agiert, scheint für unsere angeblich „wertegeleitete“ Außenpolitik keinerlei Problem darzustellen. Im Gegenteil: Die Unterstützung Israels erfolgte und erfolgt auf allen Ebenen. Nach den USA ist Deutschland der zweitgrößte Waffenlieferant Israels.

Gleichzeitig werden hierzulande jegliche Proteste gegen diesen Krieg mit massiven Repressionsmaßnahmen beantwortet – von Demonstrationsverboten über polizeiliche Gewalt bis hin zu Kriminalisierung palästinasolidarischer Positionen.

Inzwischen befinden wir uns in einer neuen Eskalationsstufe: Rund 85 % der Bevölkerung im Gazastreifen befinden sich laut UN-Angaben in der fünften und extremsten Phase der Unterernährung – der Hungersnot.

Doch dieser Zustand ist kein tragischer Unfall, sondern Ergebnis bewusster Politik. Israel hat die funktionierende humanitäre Infrastruktur der UN gezielt zerstört, Lieferungen blockiert und damit hunderttausende Menschen systematisch dem Verhungern preisgegeben. Hunger wird als Waffe eingesetzt – in aller Öffentlichkeit und mit stillschweigender Billigung der internationalen Verbündeten.

Wenn wir jetzt den Worten der Politiker Glauben schenken, hat es den Anschein, als wären sie endlich zur Vernunft gekommen: Am 19. Mai haben 22 Staaten – Deutschland unter ihnen – eine Stellungnahme veröffentlicht, in der die Einstellung der israelischen Militäroffensive sowie die Zulassung humanitärer Hilfe gefordert wird.

Gleichzeitig äußern sich immer mehr Politiker öffentlich Israel-kritisch. Sogar Friedrich Merz ist, in seinen eigenen Worten, „mehr als besorgt“.

Auf den ersten Blick scheint das eine positive Entwicklung zu sein. Doch jede Person, die noch ihre kritische Denkfähigkeit bewahrt hat, muss sich unweigerlich fragen: „Warum jetzt?“ Hat Israel etwa die Schwelle an systematischen Massakern und ausgehungerten Zivilisten, die noch unter „Selbstverteidigung“ fallen, überschritten? Haben Politiker über Nacht ihre Menschlichkeit wiederentdeckt? Oder sind sie womöglich zu der Erkenntnis gelangt, dass die Wertschätzung menschlichen Lebens nicht automatisch antisemitisch ist?

Ein Blick hinter die leeren Worte zeigt jedoch: Nichts von alldem ist der Fall. Einen Monat später hat sich die Situation nicht verändert. Deutschland steht – wenn auch nicht uneingeschränkt in Worten – doch hundertprozentig in Taten hinter dem israelischen Staat und seinem Völkermord.

Auch wenn es ein paar kritische Stimmen gibt, begründet Außenminister Johann Wadephul, wieso die BRD eine neue Erklärung von 28 Staaten für ein sofortiges Ende des Genozids nicht unterschrieben hat, mit: „weil wir parteiisch sind. Wir stehen an der Seite Israels“.

Es ist wohl keine gewagte Behauptung, auch ohne die Geschichtsbücher zu konsultieren, dass ein Staat noch nie in der Menschheitsgeschichte durch ein paar strenge Worte von einem Völkermord abgehalten wurde.

Es liegt daher nahe, anzunehmen, dass die Staaten, die sich plötzlich Israel-kritisch geben, andere Motive verfolgen als sie vorgeben. Der wahre Grund für den plötzlichen Kurswechsel ist weder eine moralische Eingebung noch eine Veränderung im Verhalten Israels, sondern allein der Druck der öffentlichen Meinung.

Nach einer Umfrage halten 80 % der Deutschen das israelische Vorgehen im Gazastreifen für „nicht gerechtfertigt“. Ähnliche Zahlen zeigen sich auch in anderen europäischen Ländern.

Leider richtet der bürgerliche Staat sein Handeln weder nach dem Willen der Bevölkerung, die er vorgibt zu vertreten, noch nach der „unantastbaren Menschenwürde“. Seine oberste Priorität liegt in der Wahrung und Durchsetzung der kapitalistischen Ordnung und seiner Souveränität – nach innen wie nach außen.

Das bedeutet: Der Staat handelt stets im Dienst des nationalen Kapitals und der geopolitischen Durchsetzung seiner Interessen. Israel verfolgt im Gazastreifen das Ziel, seine staatliche Souveränität über ein Territorium herzustellen, das es als Teil seines nationalen Anspruchs begreift – gegen den erklärten Willen der dort lebenden palästinensischen Bevölkerung.

Die Zerschlagung ihres politischen Selbstbestimmungswillens, ihre Vertreibung und die systematische Zerstörung der Lebensgrundlagen stellen somit keine „versehentlichen“ Begleiterscheinungen eines Krieges dar, sondern sind ein bewusster Teil der israelischen Staatsräson.

Sie dienen der Durchsetzung eines ethnonationalen Staatsprogramms, das auf jüdische Dominanz über das beanspruchte Territorium zielt – notfalls durch Vernichtung, Vertreibung oder Aushungerung der Bevölkerung.

Dass die Bundesrepublik Deutschland diese Politik aktiv unterstützt, ergibt sich logisch aus ihrem eigenen staatsrationalen Interesse: Israel ist ein strategisch wichtiger Partner in einer Region von globalem geopolitischen Interesse, zugleich eine prosperierende kapitalistische Nation, eng verflochten mit dem westlichen Wirtschaftsraum, insbesondere mit dem US-amerikanischen.

Die deutsch-israelische Beziehung fußt auf gemeinsamen imperialistischen Interessen – der Zugang zu Märkten, die Sicherung von Einflusszonen und die Gewährleistung eines militärischen Standorts im Nahen Osten.

Die systematische Vernichtung palästinensischen Lebens ist für die BRD keine moralische Katastrophe, sondern – im Rahmen dieser Logik – ein kalkulierter Preis zur Aufrechterhaltung stabiler Beziehungen mit Israel.

In dieser staatlich organisierten Vernunft des Kapitals ist kein Platz für Menschlichkeit – vielmehr erweisen sich Grausamkeit, Apathie und die Fähigkeit zur ideologischen Legitimation solcher Verbrechen als essentielle Werkzeuge politischer Herrschaft.

Es gibt jedoch einen Umstand, unter dem der bürgerliche Staat auch gegen Kapitalinteressen handelt: wenn die Stabilität der herrschenden Ordnung gefährdet ist. Das ist unweigerlich der Fall, wenn der Staat aktiv entgegen den Interessen von 80 % seiner Bevölkerung handelt.

Noch ist diese Ordnung nicht so sehr in Bedrängnis, dass ernsthafte politische Konsequenzen folgen würden. Noch versucht man, die Bevölkerung mit symbolischen Gesten und inhaltsleeren Erklärungen zu besänftigen – in der Hoffnung, dass wir uns damit zufriedengeben, während täglich unersetzbare Menschenleben verloren gehen.

Diese Hoffnung dürfen wir keinesfalls erfüllen.

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