Redebeitrag für die Gedenkdemo für Lorenz A. vom 29.04 organisert vom Bipoc-Kollektiv:
Am Ostersonntag wurde Lorenz A. erschossen. Lorenz war Schwarz und erst 21 Jahre alt. Die Staatsgewalt hat ihn ermordet. Für Polizei und Medien stand unmittelbar nach der Tat fest: Es müsse sich um Notwehr gehandelt haben. Noch bevor die Umstände überhaupt geklärt waren, verbreiteten der NDR und das Bild-Magazin fleißig Lügen über einen angeblichen Messerangriff. Nach Angaben der Polizei soll Lorenz mit einem Messer auf die Beamten losgegangen sein, woraufhin sie aus angeblicher “Notwehr” fünf Schüsse abgaben.
Eine Kugel streifte seinen Oberschenkel, drei weitere trafen ihn von hinten – an der Hüfte, im Rücken und am Hinterkopf. „Wer vier Schüsse von hinten abgibt, will nicht stoppen – sondern töten.“
Erst nach und nach werden die tatsächlichen Umstände bekannt. Anfang letzter Woche kamen die ersten glaubwürdigen Informationen ans Licht: Augenzeuginnen sagten aus, die Obduktion wurde abgeschlossen und Videoaufnahmen aus Einkaufsläden konnten ausgewertet werden. Alle bestätigen: Lorenz hatte kein Messer bei sich. Die Obduktion belegt außerdem die Einschüsse in seinen Rücken – Lorenz kann also nicht auf die Polizisten zugegangen sein.
Freunde von Lorenz berichteten, dass er an diesem Abend einen Freund zum Geburtstag in einem Club besuchen wollte. Doch er wurde nicht hineingelassen. Zeug:innen sagen aus, dass Lorenz vor dem Club von mehreren Personen angegangen wurde. Er verteidigte sich mit Reizgas und ergriff die Flucht.
Anschließend wurde er von einer Gruppe Menschen verfolgt. Kurz darauf traf Lorenz laut Polizei auf die erste Streife und flüchtete weiter. Im weiteren Verlauf begegnete er einer weiteren Streife. Die Polizei behauptete zunächst: „Dort ging er bedrohlich auf die Beamten zu und sprühte dabei Reizstoff in ihre Richtung.“ Doch auf Videoaufnahmen ist zu sehen, dass Lorenz sich umdreht und versucht zu fliehen, als die Schüsse fallen. Dass die Darstellung der Polizei mindestens fragwürdig ist, belegt auch der Obduktionsbericht.
Lorenz war Schwarz – das wirft einige weitere wichtige Frage auf:
Wie wäre dieser Abend verlaufen, wenn Lorenz weiß gewesen wäre?
Wäre er in den Club hineingekommen? Hätte man ihn nach der Abweisung angegriffen? Hätte die Polizei geschossen?
Lorenz wäre nicht der erste Schwarze Jugendliche, der von der deutschen Polizei aus rassistischen Motiven ermordet worden ist.
Diese Klärung soll nun die benachbarte Polizei aus Delmenhorst schaffen, ausgerechnet in den Polizeistrukturen, in dem der 19-jährige Qosay Khalaf,in Polizeigewahrsam, kollabierte und daraufhin durch bis heute ungeklärte Umstände starb.
Diese Ereignisse sind keine Einzelfälle, wie die Recherche von death in Custody nochmals verdeutlicht, sondern ziehen sich strukturell durch die Geschichte der Polizei und liegen in der Funktion des Gewaltmonopols.
Doch wie kann es eigentlich sein, dass es immer wieder zu rassistischen Polizei morden kommt?
Erstens müssen wir feststellen, dass die Polizei als Institution auf Gewalt aufbaut. Sie ist der bewaffnete Arm des Staates und hat die Aufgabe, die staatliche Ordnung zu garantieren und die Gesellschaft dieser unterzuordnen. Gewalt ist dabei keine Ausnahme, sondern die Grundlage ihres Handelns. Da der Staat Gehorsam gegenüber seinen Gesetzen verlangt, braucht es eine Instanz, die diesen Gehorsam notfalls erzwingen kann. Selbst wenn die Polizei in vielen Situationen ohne direkte Gewalt auskommt, ist die Drohung mit Gewalt stets präsent und unverzichtbar.
Polizist*innen müssen sowohl körperlich als auch psychologisch in der Lage sein, Gewalt anzuwenden, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Sie sind darauf trainiert, Widerstand gegen diese Ordnung zu überwinden und Konflikte mit körperlicher Gewalt zu beenden, dies notwendig auch zu Eskalationen führt. Dieser Druck erfordert, dass Polizist*innen ihre eigenen Ängste oder moralischen Skrupel überwinden müssen, auch wenn ihre persönlichen Interessen von der staatlichen Ordnung abweichen. Sie müssen ihre Aufgabe erfüllen und Gewalt anwenden, wenn nötig.
Durch diese ständige Vorbereitung auf Gewalt ist sie strukturell bedingt und unvermeidlich im Rahmen dieses Berufs. Gewaltanwendung wird so zu einem zentralen Bestandteil der polizeilichen Tätigkeit und nicht als Ausnahme betrachtet. Diese strukturelle Verankerung von Gewalt führt dazu, dass sie als legitimes Mittel zur Durchsetzung der Autorität angesehen wird, was die Gefahr von Missbrauch und Gewaltexzessen verstärkt.
So stehen Polizist*innen immer wieder vor der Frage “Wie viel Knüppel darf es jetzt sein?”. Es geht dann nur um „verhältnismäßige Gewalt“, nie um die Gewalt an sich. Doch diese gilt es zu hinterfragen. Wenn Gewalt nicht nur als Ausnahme, sondern als integraler Bestandteil der polizeilichen Arbeit betrachtet wird, verschiebt sich der Blickwinkel: Statt zu prüfen, ob der Einsatz von Gewalt wirklich notwendig war, wird überlegt, wie viel Gewalt in einer gegebenen Situation „gerechtfertigt“ erscheint. Dies führt zu einer Normalisierung von Gewaltanwendung, bei der der Fokus auf der Messung ihrer Intensität liegt, anstatt auf der grundlegenden Frage, ob der Einsatz von Gewalt überhaupt der richtige Weg ist.
Ein entscheidender Faktor ist jedoch, dass diese Gewaltanwendung nicht nur auf der Grundlage der beruflichen Notwendigkeit geschieht, sondern auch in einem sozialen und politischen Kontext, in dem rassistische Ideologien weit verbreitet sind. Die Polizei ist nicht nur eine Institution, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung dient, sondern sie ist auch ein Produkt der Gesellschaft, in der sie agiert. In einer Gesellschaft, die oft von rassistischen Vorurteilen und strukturellen Ungleichheiten geprägt ist, wird diese Haltung in vielen Fällen auch in der Polizei reproduziert. Rassismus ist nicht nur ein individuelles Problem einzelner Polizist*innen, sondern ein strukturelles und institutionelles. Polizist*innen sind in einer Umgebung tätig, die rassistische Stereotype sowohl verstärken als auch als Teil ihrer Arbeit normalisieren kann.
Dies zeigt sich immer wieder in Fällen, in denen rechte Chat-Gruppen innerhalb der Polizei aufgedeckt werden oder wenn Polizist*innen sich offen für mehr „racial profiling“ aussprechen. Solche Vorfälle verdeutlichen, dass rassistische Gewalt nicht nur als ein individuelles Fehlverhalten einzelner Beamte angesehen werden kann, sondern als ein wiederkehrendes Problem, das tief in den Strukturen der Polizei verankert ist. In diesem Kontext wird Gewalt, die auf rassistischen Stereotypen basiert, nicht nur toleriert, sondern oft als Teil der täglichen Praxis normalisiert.
Es sind daher keine Einzelfälle, wenn Gewalt angewendet wird – es ist ein unvermeidlicher Teil der Polizeiarbeit. Diese strukturelle Bedingung macht Gewalt, insbesondere in extremen Formen wie rassistischen Morden oder anderen Übergriffen, zu einem wiederkehrenden und systematischen Problem innerhalb der Polizei. Dies wird verstärkt durch die Tatsache, dass die Polizei in vielen Fällen kaum zur Rechenschaft gezogen wird. Unzureichende interne Ermittlungen begünstigen die Straflosigkeit, wodurch rassistische Gewalt und Missbrauch nicht nur toleriert, sondern häufig auch verdeckt werden.
Selbst wenn es gelegentlich zu der Aufklärung von rassistischen Vorfällen in der Polizei kommt, wird dies oft durch die enge Solidarität unter Polizist*innen behindert. Die meisten Polizist*innen scheuen sich, gegen ihre Kolleg*innen auszusagen, selbst wenn sie von rassistischen Handlungen wissen. Diese Verschwiegenheit innerhalb der Institution trägt dazu bei, dass viele Vorwürfe nicht adäquat untersucht oder verfolgt werden. Infolgedessen kommt es in den seltensten Fällen zu strafrechtlichen Konsequenzen für Polizistinnen, die rassistische Gewalt ausüben. Diese Kultur des „Schutzes“ und der Vertuschung führt dazu, dass rassistische Morde und Missbrauch weiterhin systematisch stattfinden und selten die rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen, die sie verdienen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der institutionelle Schutz, den Polizist*innen durch den gesamten Staatsapparat erfahren. Wenn es zu Vorwürfen gegen Polizist*innen kommt, sei es wegen “übermäßiger” Gewaltanwendung oder anderen Gesetzesbrüchen, sehen sich diese oft einer Gegenklage oder umfangreichen rechtlichen Gegenmaßnahmen gegenüber. Die Polizei hat Zugang zu erheblichen finanziellen Ressourcen und professionellen Anwälten, die sie in solchen Konflikten vertreten. Dies verschafft den Beamten einen erheblichen Vorteil in rechtlichen Auseinandersetzungen. Dazu kommt auch noch, dass Polizist*innen so gut wie nie gegen ihre Kollegin*innen aussagen, sondern sie schützen. Dieser Schutz durch die Kollegen und den Staatsapparat verstärkt die Straflosigkeit und sorgt dafür, dass rassistische Tendenzen und Gewaltanwendung innerhalb der Polizei nicht nur toleriert, sondern auch systematisch gedeckt werden.
Und klar, oft geht es konkret um den Rassismus in der Polizei, in der Justiz, auf dem Arbeitsamt, bei der Wohnungssuche oder sonst wo. Aber der „Fehler“ liegt nicht in diesen einzelnen Institutionen, sondern im System. Es ist nicht nur die Polizei, es ist der ganze Staatsapparat, es ist das kapitalistische System, das rassistisch ist, das jeden Tag mordet.
Sagen wir doch wie es ist: Der Staat und seine Organe schützen niemanden außer sich selbst. Es geht ihnen nicht um Gerechtigkeit, Aufklärung oder unsere Sicherheit. Es geht um ihren Reichtum, ihre Macht und ihre Sicherheit. Die Polizei ist nicht da, um uns zu schützen, sondern am Boden zu halten.
Gerechtigkeit für Lorenz und alle anderen, die Opfer von Polizeimorden geworden sind, kann es erst geben, wenn die Ursache für ihren Tod vernichtet sind. Wenn Kapitalismus, Rassismus und Unterdrückung Geschichte sind. Deshalb ist es notwendig, weiter auf die Straße zu gehen und sich nicht an die Gewalt zu gewöhnen. Gegen jeden rassistischen Kommentar, jede anlasslose Polizeikontrolle, jeden faschistischen Angriff, jeden Polizeimord laut aufzuschreien und diese Wut zu revolutionären Kämpfen gegen das System zu bündeln.