Redebeitrag zur 8.Mai Kundgebung organisert vom VVN-BdA:

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir stehen heute hier am 8. Mai – einem Tag, der nicht nur in die Geschichtsbücher gehört, sondern auch in unser kollektives Gedächtnis, in unsere Kämpfe und in unseren Widerstand. Am 8. Mai 1945 kapitulierte das nationalsozialistische Deutschland. Dieser Tag markiert die militärische Niederlage des faschistischen Regimes. Doch für uns ist er weit mehr: Heute ist der Tag der Befreiung – nicht nur vom Krieg, sondern von einem System, das auf Rassismus, Antisemitismus und autoritärer Gewalt aufgebaut war.

Doch um zu verstehen, warum dieser Tag so bedeutsam ist, müssen wir zurückblicken. Der Faschismus kam schließlich nicht aus dem Nichts. Er war das Produkt einer tiefen Krise des Kapitalismus – einer Krise, in der sich die herrschende Klasse entschied, ihre Macht nicht aufzugeben, sondern sie mit brutalster Gewalt zu sichern. In Deutschland bedeutete das: Unterstützung für die Nazis durch Großindustrie, Banken und Militär, weil sie für Ordnung, Nationalstolz und vor allem die Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung standen. Hitler war kein Betriebsunfall der Geschichte. Er war ein brutales Produkt des Kapitals gegen den aufkeimenden Sozialismus.

Die NSDAP versprach nationale Einheit, soziale Sicherheit und Stärke. Doch was sie brachte, war Terror, Krieg und millionenfachen Mord. Der Faschismus versprach Lösungen – doch seine einzige Lösung war Vernichtung. Der 8. Mai war deshalb nicht nur das Ende dieses Regimes – er war der Anfang der Erkenntnis: Nie wieder ist jetzt. Doch dieser Satz verliert radikal an Bedeutung, wenn die Wurzeln des Faschismus noch immer leben.

Wir leben heute in einem System, das dieselben sozialen Spannungen, dieselben Ungleichheiten und dieselben Gewaltpotenziale hervorbringt. Wenn wir nach rechts schauen, sehen wir: Rassistische Hetze auf den Straßen, Angriffe auf Geflüchtete, rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr, faschistische Ideologien in den Parlamenten. In dieser Welt fühlt sich “Nie wieder” gar nicht mehr so weit weg an.

Und wir müssen fragen: Warum?

Die Antwort liegt nicht in der schlechten Moral einzelner Individuen, sondern in einem von Grund auf krisenhaften System, das zwangsläufig immer wieder wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Krisen hervorbringt. Reformen dienen dazu, die Auswirkungen dieser Krisen so weit wie möglich einzudämmen, bis die Produktion wieder an Fahrt gewinnt. Rechte Ideologien kommen dann ins Spiel, um die Massen leichter beherrschbar zu machen. Sie entfalten ihre Wirkung besonders in Zeiten, in denen die krisenbedingte Unwissenheit und die Suche nach einfachen, klaren Antworten zunehmen.

Faschismus ist nicht der Widerspruch zum Kapitalismus, sondern eine seiner hässlichsten Facetten. Wenn die Wirtschaft zusammenbricht, Massen von Menschen hungern, die Arbeitslosigkeit überhandnimmt und Aufstände die Straßen füllen, greift die pseudo-kapitalismuskritische Rhetorik des Faschismus schnell um sich. Sie präsentiert sich als vermeintliche Alternative zum Status quo mit einfachen Antworten: Schuld sind Migrant:innen, Kommunisten, Jüdinnen und Juden, die Arbeitslosen oder einfach „die Anderen“.

Der Faschismus greift den Zorn der Straße auf, lenkt ihn aber gezielt nicht gegen oben, sondern nach unten. Er schützt das Privateigentum der Ausbeuter und ordnet die Interessen der Arbeiter unter die der Nation. Er schlägt die Gewerkschaften, schafft Hass, verfolgt Andersdenkende. Und deshalb ist unser Gedenken heute nicht nur rückwärtsgewandt. Es ist ein Auftrag.

Denn in unserer heutigen Welt reicht Gedenken nicht mehr. Es reicht nicht mehr bloß zu sagen: “Nie wieder”. Wenn wir vor Faschismus und Rechtsruck kapitulieren, dann wird damals zu einem bedrückenden Heute.

Der 8. Mai ist nicht bloß ein Gedenktag, ist nicht bloß ein Grund, das Ende des Faschismus zu feiern. Er ist auch eine mahnende Erinnerung an all das Leid, was damals geschah – und wie schnell es wieder passieren kann. Er ist eine Erinnerung, dass Faschismus noch existent ist, dass der Kampf gegen ihn noch nicht vorbei ist, dass wir nicht so aus unseren Fehlern gelernt haben, wie wir sollten.

Wir dürfen nicht bloß gedenken, sondern müssen mit unserem Wissen und unserem Gedenken etwas tun. Wir dürfen nie wieder Ungerechtigkeit wie damals hinnehmen. Wir müssen aktiv das System und vermeintliche Normen kritisieren.

Am 19. April 1945 schworen sich die Überlebenden des KZ Buchenwald: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Dieses Ziel konnte nicht erfüllt werden.

Also lasst uns nach all den Jahren, mit all unserer Wut, “Nie wieder” endlich zu unserer Realität machen!

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